Sag’ mir, wo du säufst, ich sag’ dir, wer du bist. Eine kultursoziologische Analyse des studentischen Freizeitverhaltens

Struktureller Rahmen

Für den 2-Fach-Bachelor-Studiengang mit dem Basisfach Soziologie sieht das Modulhandbuch für das fünfte Modul ein zweisemestriges Lehrforschungsprojekt vor. Ziel dieses Lehrforschungsprojektes ist es, die im Studium erworbenen Kenntnisse bezüglich sozialwissenschaftlicher Empirie und Theorie innerhalb eines Forschungsprojektes anzuwenden und zu erproben. Im Vordergrund steht dabei weniger die wissenschaftlich belastbare Beantwortung einer konkreten Forschungsfrage als vielmehr die konzeptionelle Planung einer Forschungsarbeit mit theoretischer Fundierung und empirischer Ausrichtung.

Theoretischer Bezug

Aus sozialstruktureller Perspektive lassen sich Angehörige unterschiedlicher sozialer Gruppen (Schichten/Milieus) nicht nur danach unterscheiden, wie viel Geld sie verdienen, welchen beruflichen Status sie haben oder auf welche Schulen sie ihre Kinder schicken. Pierre Bourdieu[1] konnte in den 1980er Jahren zeigen, dass die sozialen Unterschiede viel feiner, ja subtiler sein können und sogar bis in die verschiedenen Ausformungen des Geschmacks hinein reichen. Bourdieu geht sogar so weit und behauptet, dass der Geschmack ein zentrales Instrument für soziale Distinktionsbemühungen (Abgrenzungsverhalten) ist. Zur Analyse sozialer Unterschiede und sozialer Ungleichheit werden in der Soziologie verschiedene Modelle verwendet, die Menschen auf Basis ­– aus Sicht der Soziologie – wichtiger Merkmale wie Bildung, Einkommen, Beruf oder Lebensstil zu Gruppen zusammenfassen[2]. Gerade das Lebensstilmodell ist für das Forschungsvorhaben zentral. Personen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen lassen sich nämlich auch danach unterschieden, was sie einkaufen, was sie essen und trinken, welche Kleidung sie kaufen und was sie als schön oder hässlich empfinden; selbst die ästhetische Kategorie des „Schönen“ ist schichtspezifisch geprägt[3].
1.3 Fragestellung: Worum geht es?
Übertragen auf das Freizeitverhalten sollten sich daher auch bei den Studierenden, trotz des geringen Unterschieds bezüglich des aktuellen Bildungsstatus, Unterschiede im Hinblick auf ihre soziale Herkunft zeigen. Konkret bezieht sich unser Forschungsprojekt hauptsächlich auf nur einen Teil des Freizeitverhaltens: das Nachtleben. Wir fragen daher danach, ob wir sozialstrukturell bedingte Unterschiede zwischen den Studierenden im Bezug auf ihr Ausgehverhalten feststellen können. In welche Clubs oder Kneipen gehen die Studierenden? Welche Motive verbergen sich dahinter? Geht es ihnen eher um einen schönen Abend mit Freunden, nutzen sie die Lokalitäten als Partnermarkt oder, wie es eine Zeit lang hieß, zum „Eskalieren“, ganz nach dem Motto „Work hard, party hard“? Aus soziologischer Perspektive geht es dabei immer um die Frage, ob sich die verschiedenen Motivlagen über die Studierenden gleich verteilen, oder ob hier systematische Unterschiede zwischen Gruppen festgestellt werden können.
Neben der Analyse des Nachtlebens interessiert uns aber auch die Frage, welche Studierende nicht ausgehen und was sie stattdessen machen. Hintergrund dieser Fragestellung ist ein (nicht nur) in Koblenz festzustellender Trend, der sich in einer Abnahme des Nachtlebens zeigt[4]. Aus Vorgesprächen mit Studierenden und Koblenzer Wirten vermuten wir hauptsächlich vier gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, die sich auch im Ausgehverhalten zeigen bzw. sich auf dieses auswirken:

  1. Der allgemeine Trend zu einer gesünderen Lebensweise
  2. Eine zunehmende Abschlussorientierung der Studierenden, die sie dazu zwingt, den studentischen Alltag so effektiv wie möglich zu gestalten und wenig Zeiträume für Geselligkeit lässt
  3. Die Partnersuche wird von einem (nicht kleinen) Teil der Studierenden sukzessive von der analogen (Clubs, Kneipen, Vereine, etc.) auf die virtuelle Welt (Online-Dating) übertragen[5]
  4. Die bereits in 1980er Jahren formulierte These über den Rückzug des Individuums aus der Öffentlichkeit von Richard Sennet[6], erhält durch die digitalen Medien eine neue Dimension. Wir glauben daher , dass Netflix, Amazon Prime, Virtual Reality etc. Angebote darstellen, die es den Studierenden ermöglichen, das Abschalten vom Alltag aus der Öffentlichkeit (Kino, Theater, Konzerte) in die eigenen vier Wände (gerade durch den Konsum von Serien) zu verlagern

Methodik

Methodisch verfolgen wir einen Mixed Methods Ansatz[7], genauer: ein „Convergent parallel disgin“[8]. Das heißt wir untersuchen einen Gegenstand indem wir parallel quantitative und qualitative Methoden anwenden und erst in der Ergebnisbeschreibung zusammenbringen. Die Lehrforschungsprojekte sind dabei so konzipiert, dass sie von mir zwar angeleitet und begleitet werden, aber auch einen hohen Eigenanteil und Eigeninitiative von Seiten der Studierenden fordern. Organsiert wird die Arbeit neben dem Seminar auf der Onlineplattform Mahara, sodass die Studierenden die Möglichkeit haben, sich auszutauschen und Arbeitsschritte und Ergebnisse zu diskutieren.
Wir haben das gesamte Projekt in vier Teilprojekte, mit je eigenem Forschungsschwerpunkt, gegliedert. Wir gehen davon aus, dass eine starke Beziehung zwischen der besuchten Lokalität (Kneipe, Bar, Club, etc.) und den Personeneigenschaften vorliegt. Daher differenzieren wir in den Projekte auch zwischen den Ebenen „Person“ und „Lokalität“ .

Die Lokalität

Projektgruppe 1: Das Forschungsziel der ersten Projektgruppe besteht in der Konstruktion einer Typologie der Altstadtkneipen (wir mussten die Region derart eingrenzen, da sonst die Mannigfaltigkeit des Angebots den Rahmen des Projekts sprengen würde). Die Studierenden listen zunächst alle Lokalitäten, die in die Kategorien Kneipe, Club, Bar und Lounge fallen, auf und entwickeln eine Typologie entlang der Kategorien „Atmosphäre“, „Einrichtungsstil“, „Verweildauer“, „Musik“ etc.).

Projektgruppe 2: Diese Gruppe führt qualitative Interviews mit den Besitzerinnen und Besitzer der Lokalitäten durch, um eine Art „Eigenbeschreibung“ der Lokalitäten zu erhalten. Wir wollen wissen, welches Publikum die Betreiberinnen und Betreiber ansprechen möchten und welches Konzept sie insgesamt verfolgen. Gleichzeitig, das haben bereits die ersten Interviews gezeigt, bekommen wir somit sowohl einen Überblick über den aktuellen Stand des Nachtlebens als auch über dessen Entwicklung.

Personenebene

Projektgruppe 3: Im Rahmen dieses Projektes wird ein Fragebogen entwickelt, der die Dimensionen Persönlichkeit, Sozialstruktur, Lebensstil und das Freizeitverhalten im Allgemeinen sowie das Nachtleben im Speziellen enthält. Mit dieser quantitativen Befragung, die auf dem Campus der Universität und der Hochschule durchgeführt werden soll, erhoffen wir uns Erkenntnisse bezüglich sozialstruktureller Unterschiede im Ausgehverhalten aber auch der Freizeitgestaltung finden zu können.

Projektgruppe 4: Schließlich führt diese Projektgruppe qualitative Befragungen in den Koblenzer Kneipen, Bars, Clubs etc. durch, um die Hintergründe und Motive zu erfassen, die hinter dem jeweiligen Kneipenbesuch stehen. Hier sollen auch typische Kneipenrouten identifiziert werden, sowie spezielle studentische Ausgehtypen erstellt werden.

Literaturverzeichnis

[1] Bourdieu, P. (1982). Die feinen Unterschiede. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
[2] Schulze, G.. (2005): Die Erlebnisgesellschaft. Frankfurt a.M.: Campus Verlag.; Geißler, R. (2014): Die Sozialstruktur Deiutschlands. Wiesbaden: Springer VS.
[3] Ebd.
[4] https://www.rhein-zeitung.de/kultur_artikel,-naechster-daempfer-fuer-junge-kulturszene-traditionsformat-electric-city-faellt-zum-ersten-mal-aus-_arid,1730353.html (Stand 16.01.2018)
[5] Schmitz, A. et al. (2011): Myths and facts about online mate choice. In: Zeitschrift für Familienforschung 23(3). S. 358-381
[6] Sennet, R. (2004). Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Fischer.
[7] Baur, N. et al. (2017): Mixed Methods. Stand der Debatte und aktuelle Problemlagen. In: Baur, N. et al. Mixed Methods. Wiesbaden: Springer VS. S. 1-37.
[8] Schoonenboom, J. und Johnson, B. (2017): How to construct a mixed methods research design. In: Baur, N. et al. Mixed Methods. Wiesbaden: Springer VS. S. 107-131.